Eine Reiseseele ist jetzt Mama

„So much of who we are is where we have been.“ [W. Langewiesche]

Ich träume. Lande auf Instagram Profilen von Anfang 20ern mit umgebautem VW Bus an Stränden, Surfbrett auf dem Dach, Nudeln auf dem Gaskocher, die selbstgenähte Wimpelkette flattert im Sonnenuntergang, aus den hölzernen Lautsprechern des Buses klingt wahlweise Fat Freddys Drop oder Jack Johnson. Sehe Familien ihr Kind in der Trage durch Reisfelder auf Bali oder Teeplantagen in Indien spazieren. Kleinkinder, die im Sand Burgen bauen und nachts im Zelt erschöpft einschlafen. Ich kann die Wanderschuhe an meinen Füßen förmlich spüren, ich sehe mich an einem der Flughäfen dieser Welt stehen und am Gepäckband auf meinen Rucksack warten. Sehe uns Märkte genießen, Berge erklimmen, Schluchten erkunden, Buchten durchschwimmen. In einem knarzenden Bett zu summender Klimaanlage einschlafen, juckende Mückenstiche.

Woran das liegt, dass mich gerade jetzt Reisesehnsucht packt? Vielleicht weil ich weiß, wer ich bin „da draußen in der Welt“. Ich kenne mich. Wenn ich neue und unbekannte Orte leben darf bin ich erfüllt von tiefer Ruhe und Dankbarkeit, ich bade in dem Gefühl, plötzlich so klein und vermeintlich unbedeutend zu sein. Ich habe sehr viel gelernt, eigentlich hab ich auf Reisen alles gelernt. Ich wuchs. Neuseeland oder auch mein Leben in San Francisco sind zu einer Art „Fluchtpunkt“ geworden, zu denen ich mich träume, wenn mir hier die Welt zu groß wird. Auf Reisen bin ich so pur, unverfälscht, authentisch. Spätestens alle paar Jahre brauche ich diese Art von Neustart. Neu fokussieren, neu kalibrieren, wer will ich sein, wo will ich hin. Zuletzt in Nepal – als ich dieses atemberaubende (ha!) Land zusammen mit meinem Mann kennenlernen durfte, der Berg mich in die Knie und zu mir selbst zwang und so dafür sorgte, dass sich schon ganz bald danach das kleine Würmchen namens Ela auf die Reise zu uns machen konnte. Ich brauchte Nepal. Auch in Hinblick auf eine (damals schon geplante) Schwangerschaft.

„Tja.“ Ich höre es, dieses kleine Wörtchen von Bekannten, von „Freunden“ von früher. Es ist nicht immer ein „tja“ – aber es sagt immer, dass wir ja hätten wissen müssen, wenn wir uns für ein Kind entscheiden. Dass „vieles dann eben nicht mehr geht.“ Klar, ich leugne das gar nicht, einiges geht nicht mehr. Beziehungsweise einiges geht eben nicht mehr einfach so. Nicht mehr so barfüßig. Aber es geht. Auch Reisen geht. Anders, klar, aber es geht. Und es ist nun noch eine Spur größer und „erwachsener“, weil ich nicht nur (m)einen Mann an meiner Seite, sondern nun auch ein neugieriges Mädchen an der Hand habe.

Ich öffne die Augen. Ich spüre eine kleine himbeerverschmierte Hand auf meiner (frischgewaschenen) Hose und höre ein (sehr wichtig klingendes) „mama mama mama – da da da“, während diese kleine Hand auf und zu geht und noch eine von den Himbeeren fordert. Ich schaue an ihr runter, in Sand paniert und himbeerverschmiert strahlt sie mich an. „Glück“ steht ihr übers ganze Gesicht geschrieben.

Was passiert also mit einer kleinen Reiseseele, wenn sie Mama wird? Ein kleines bisschen leidet sie durchaus, da bin ich ehrlich. Weil ich die Welt „so wie damals“, jung und frei wie ein Vogel, nie mehr bereisen kann. Allerdings ist jetzt gleichzeitig die Dankbarkeit viel präsenter. Ich hab die Zeit genutzt, ich hab der Welt erlaubt, mich zu der zu machen, die ich tief in mir drin bin. Ich war an vielen Orten, habe sehr viele fremde Kulturen spüren dürfen, unfassbar viele Dinge erlebt, Situationen, die so schräg waren, dass ich auch heute noch schmunzeln muss, wenn ich darüber nachdenke oder im Reisetagebuch von damals blättere. Parallel zur Dankbarkeit wächst auch die Vorfreude auf all die Reisen, die wir noch erleben werden. Auf all die Orte, die ich meiner Tochter zeigen werde. Sie wird Berge sehen, Menschen kennenlernen, bunte Muscheln suchen und abends erschöpft zu summender Klimaanlage einschlafen.

Jetzt im Moment, heute und hier, bin ich erstmal mit Leib und Seele Ruhepol und Hafen für die kleine „Reisende“, die sich im März vergangenen Jahres in ihr größtes Abenteuer gestürzt hat. Ihre große Reise in dieses große Leben.

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